Wilhelm Greff
1872-1944

Dechant Wilhelm Greff

Seelsorger und Politiker zwischen Kaiserreich und Hitlerdiktatur

 
Dittmar Lauer

  
    Pfarrer Dr. Josef Friederichs, der Nachfolger des 1944 verstorbenen Dechanten Wilhelm Greff, hinterließ in der Pfarrchronik folgenden Eintrag: Eine kraftvolle, markante Persönlichkeit, ein unerschrockener Gegner der Irrlehren des Dritten Reiches, ein frommer Priester und eifriger Seelsorger, ein gewissenhafter Pastor, ein tüchtiger Dechant.

    Wilhelm Greff wurde am 14. Mai 1872 in Auersmacher geboren, einem kleinen Dörfchen in der Nähe zu Frankreich. Seine Vorfahren waren meist Zimmerleute von Beruf. Nachkommen betrieben noch bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine selbstständige Zimmerei in der Auersmacher Nachbargemeinde Sarreguemines. Wilhelm Greffs Vater Peter war in dritter Ehe mit Margaretha Karst verheiratet. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor, je drei Mädchen und Jungen. Margaretha Karst, 1845 in Wallhausen im Kreis Bad Kreuznach geboren, war in jungen Jahren als Haushälterin ihres achtzehn Jahre älteren Bruders Wilhelm Karst mit nach Auersmacher gekommen, als dieser als Pfarrer im Jahre 1859 dorthin versetzt wurde. Wilhelm Greffs Namensgeber und Taufpate war sein Onkel, der Pfarrer Wilhelm Karst. Der Junge erschien dem geistlichen Onkel schon in jungen Jahren so aufgeweckt, dass er ihn unter seine Fittiche nahm und ihn auf ein Gymnasialstudium vorbereitete in der Hoffnung, dass er ebenfalls Priester werden möge.

    Wilhelm Greff wurde am 10. August 1895 im Alter von dreiundzwanzig Jahren in der Hohen Domkirche in Trier von Bischof Felix Michael Korum zum Priester geweiht. Drei Jahre in Münstermaifeld als Kaplan tätig, kam er 1899 als Vikar nach Fischbach-Camphausen, das kurz zuvor zur Kapellengemeinde mit dem Recht auf einen eigenen Seelsorger erhoben worden war. Vikar Wilhelm Greff, dem man eine Wohnung in einem „recht ansehnlichen und fast neuen Haus“ zur Verfügung gestellt hatte, widmete sich tatkräftig dem Neubau einer Kirche. Er bemühte sich um den Ankauf eines geeigneten Baugeländes. Durch Schenkungen und Tauschverträge bekam er nach und nach rund 1.200 qm Bauland zusammen. Für die Kirche und ein dazugehöriges Pfarrhaus reichte der Platz bei weitem nicht aus, dennoch begann der neue geistliche Herr zunächst mit dem Bau eines Pfarrhauses, in dem nicht nur Platz genug für den Pfarrer, sondern auch noch für einen Kaplan sein sollte. Die Kaplanswohnung soll die kirchliche Behörde verlangt haben, belehrte Greff die Kirchengemeinde, die es lieber gesehen hätte, wenn zunächst einmal die Kirche gebaut worden wäre, zumal der Vikar ja in einer standesgemäßen Wohnung untergebracht war. Mit dem Grundstückszukauf kam Greff nicht voran. In dieser verfahrenen Situation, wo man zwar ein neues Pfarrhaus für den Pfarrvikar mit Kaplanswohnung besaß, aber keinen ausreichenden Platz mehr hatte für die geplante Kirche, wurde Wilhelm Greff im Jahre 1905 abberufen und mit der Diasporapfarrei Kirchenbollenbach bei Idar-Oberstein betraut. „So wurde die Kirchengemeinde mit diesem dreizehn Zimmer großen Bau und 12.000 Mark Schulden belastet“. Greffs Nachfolger übernahm kein beneidenswertes Erbe in der Kapellengemeinde Fischbach-Camphausen.

    Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Definitor im Dekanat St. Wendel kam der inzwischen vierzig Jahre alte Wilhelm Greff im Jahre 1912 als Pfarrer nach Hermeskeil. In seiner neuen Wirkungsstätte, die er zweiunddreißig Jahre bis zu seinem Tode im Jahre 1944 innehaben sollte, wurde Pfarrer Wilhelm Greff an einem Donnerstag im Juli des Jahres 1912 empfangen. „Der ganze Ort trug Flaggenschmuck. Ehrentore waren errichtet und die Häuser mit Blumen und Girlanden geschmückt. Mehrere Ehrenreiter gaben dem neuen Seelsorger von Reinsfeld aus das Geleit zunächst bis nach Höfchen, wo die erste Begrüßung durch die dortige Schuljugend stattfand. Weißgekleidete Mädchen überreichten mit sinnigen Gedichten Blumensträuße“. Gegen zehn Uhr traf die Prozession in der Bahnhofstraße ein. Dort wurde er von dreißig geistlichen Herren von nah und fern empfangen. Deputationen mit Fahnen des Katholischen Arbeitervereins und des Katholischen Jünglingsvereins von Kirchenbollenbach waren ebenfalls vertreten. Eine Schülerin überreichte einen frischen Blumenstrauß und begrüßte ihn mit einem schönen, gut vorgetragenen Gedicht. „Alsdann bewegte sich die Prozession nach der Kirche, wo die Einführung vor sich ging. Darauf bestieg der Herr Definitor von Osburg die Kanzel und ermahnte die Pfarrkinder in einer herzlichen Ansprache zur treuen Pflichterfüllung ihrem Seelsorger gegenüber“. Der neue Pastor brachte in seiner Begrüßungspredigt seinen Pfarrkindern „in innigen Worten“ sein Verständnis über das Verhältnis zwischen Hirt und Herde bei.

    Einen Empfang ganz besonderer Art hatte sich der Redakteur und Herausgeber der Hochwald-Zeitung Josef Lohmer-Philippi einfallen lassen. In einer Extraausgabe brachte er einen in klassischem Latein verfassten größeren Artikel mit der Überschrift Salve Caesar! Wer der Verfasser dieses Artikels gewesen ist, muss offen bleiben. Es dürfte aber in jedem Falle einer der Kapitulare im Dekanat Hermeskeil gewesen sein. Unterzeichnet ist der „in überdurchschnittlich fließendem Latein“ verfasste Artikel mit Megabates.  Der originelle Begrüßungsaufsatz stellt dem Neuankömmling in launiger und manchmal auch boshafter Weise die künftigen Mitbrüder im Dekanat Hermeskeil vor, die meisten mit ihren Spitznamen genannt unter Bloßstellung ihrer geistigen und körperlichen Schwächen, andererseits gespickt mit feinsinniger Beobachtung des täglichen Pfarrerdaseins. So liefert der Artikel „einen kleinen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des katholischen Landklerus im Bistum Trier aus den noch ‚ungestörten‘ Jahren vor dem Ersten Weltkrieg“.

    In seiner neuen Pfarrei in Hermeskeil machte sich Pfarrer Wilhelm Greff sogleich an die bauliche Verbesserung und Ausschmückung der Pfarrkirche, die er überaus „kalt und armselig“ vorfand. Die ausgetretenen Sandsteinplatten des Kirchenganges wurden durch Fliesen der Vereinigten Servais-Werke AG in Ehrang ersetzt und im Laufe der Jahre wurden nach und nach neue Kirchenfenster angeschafft. Die alten Kirchenfenster von 1870 hielt Pfarrer Greff „für unseren Hochwalddom ungeziemend“. Gleichzeitig sammelte er für neue Kreuzwegstationen an Stelle „der armseligen papierenen vielfach zerrissenen Bilder“. Die zu schmale und enge Empore wurde vergrößert und eine elektrische Beleuchtung nach einer Spende eines unbekannten Wohltäters installiert. „Als die Pfarrkinder so allmählich merkten, dass ich ihre Kirche gänzlich umzugestalten strebte, wuchs ihre Freigebigkeit in lobenswerter Weise“ gab sich Pfarrer Greff zuversichtlich für weitere von ihm geplanten Verbesserungen und Ausschmückungen. Eine holzgeschnitzte Pieta stiftete „eine ungenannte Wohltäterin von hier“ und Hauptlehrer Ludwig Bach schenkte zum Dank für die Rettung seines Sohnes Willy, der sich Anfang des Ersten Weltkrieges eine schwere Verletzung zugezogen hatte, eine wetterfeste Ölberggruppe, die später auf dem Erzberg Aufstellung fand. Pfarrer Greff selbst verehrte der Pfarrei zwei Partikel vom hl. Kreuz, die ihm der Bischof von Assisi anlässlich einer Romreise anvertraut haben soll  und die in kostbaren Reliquiaren  aufbewahrt werden. Im Hohlraum eines Reliquiars wird die Authentizitätsurkunde aufbewahrt. Das Bischöfliche Generalvikariat erteilte die Erlaubnis zur öffentlichen Verehrung.

    „Nicht minder unerfreulich wie der äußere Eindruck des inneren Gotteshauses war auch der Eindruck des inneren religiös-sittlichen Lebens“, fand Pfarrer Wilhelm Greff. Sogleich nach seinem Amtsantritt begann er die bereits von Pfarrer Peter Anheier gegründete Marianische Jungfrauenkongregation neu zu beleben. An Christi Himmelfahrt 1912 wurden nahezu 200 Jungfrauen aufgenommen. Die Festpredigt hielt der Pallottinerpater Josef Kentenich. Einen würdigen Abschluss fand die Feier „durch die sich anschließende Prozession, bei welcher die Kongregationsmitglieder im Schmucke ihrer Bändchen und Medaillen und mit ihrer Fahne die Statue der Mutter Gottes von Lourdes und der kleinen Bernadette hinunter in das Mühltal bei der Blasiusmühle trugen“. In kurzer Folge gründete Pfarrer Greff den Christlichen Mütterverein, einen Katholischen Jünglingsverein und acht Tage später einen Katholischen Männerverein. Mit der Gründung des Männervereins versuchte Pfarrer Greff die damals heftig tobenden Kämpfe unter den Arbeitern zu verhüten und alle Stände zu einen. Ein von Pfarrer Greff ins Leben gerufener Paramentenverein, dessen Mitglieder sich regelmäßig im Pfarrhaus unter fachkundiger Anleitung von Lehrerinnen zu Ausbesserungsarbeiten trafen. Zur Förderung der Missionstätigkeit wurde eine Ortsgruppe der Katholischen Missionsvereinigung ins Leben gerufen. Die Tätigkeit dieser von Pfarrer Greff ins Leben gerufenen Vereine litten jedoch bald unter den sich zuspitzenden Ereignissen des Ersten Weltkrieges. Im Frühjahr 1917 traf die mit der bischöflichen Behörde abgestimmte Aufforderung zur Ablieferung der bronzenen Kirchenglocken ein. Die bereits angeordnete Abgabe der Orgelpfeifen und des kupfernen Blitzableiters konnte verhindert werden. „Ein Tag wehmütiger Trauer für die ganze Pfarrei ... das Volk weinte wie beim Tod eines Pfarrers“, als nach einem Abschiedsläuten die Glocken vom Turm herabgelassen und auf den Bahnhof zum Weitertransport in die Munitionsfabriken gebracht wurden.

    Wilhelm Greff gehörte zu den im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts – also in der Zeit des ausklingenden Kulturkampfes – geborenen Pfarrern, die neben ihrer originären und vornehmsten Aufgabe als Seelsorger sich darüber hinaus äußerst engagiert den gesellschafts- und kulturpolitischen Herausforderungen stellten und sich aktiv in die Tagespolitik einmischten und nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges Parteiämter und kommunale Mandate innehatten – eine heute schwer vorstellbare Konstellation.

    Kaum sechs Wochen nachdem Pfarrer Wilhelm Greff seine Pfarrstelle in Hermeskeil angetreten hatte, setzte sich der damalige Bürgermeister Otto von Waldstein mit ihm in Verbindung, um ihn für die im Entstehen begriffene Höhere Schule  zu gewinnen. Pfarrer Greff erkannte die Chance, „die Söhne des doch nahezu ganz katholischen Hochwaldes, besonders nach seinem immer sichtbarer werdenden wirtschaftlichen Aufschwung“ , künftig leichter zum geistlichen Stand und den übrigen akademischen Berufen zu führen. Auch forderte er, die jungen Menschen nach ihrer Begabung zu fördern und „dass die höheren Stellen in Verwaltung, Justiz, Medizin, Schule und Kirche nicht ein Privileg des Geldsackes sein dürften“.  Pfarrer und Bürgermeister gewannen schnell die Unterstützung des Gutsbesitzers Hugo Weber und des Forstmeisters Fuchs, beide Gemeinderatsmitglieder und es gelang ihnen, sehr bald auch die übrigen „nur dem Bauernstand angehörigen“ Mitglieder zu überzeugen. Mit knapper Mehrheit beschloss der Gemeinderat Hermeskeil im November 1912 die Einrichtung einer höheren Schule, die dann im April des darauffolgenden Jahres zunächst als zweiklassige Schule – Sexta und Quinta – offiziell eröffnet wurde. In das Schulkuratorium wurde neben Bürgermeister Otto von Waldstein auch Pfarrer Wilhelm Greff berufen. Das Lehrpersonal der Volksschule mit Hauptlehrer Ludwig Bach an der Spitze war von der neuen Schule nicht besonders angetan, „fürchtete man doch die besten Schüler der Volksschule zu verlieren“. Durch die Vermittlung des Kreisschulinspektors Schulrat Hochscheidt – der sich als Freund und Gönner der Höheren Schule verdient gemacht hat – konnten die Bedenken der Volksschullehrer ausgeräumt werden.

    Das parteipolitische Engagement von Pfarrer Wilhelm Greff beginnt drei Monate nach seiner Einführung in Hermeskeil mit einer stark besuchten Versammlung der Zentrumspartei Ende November 1912 im Hotel Eiden von der Lahr. „Aus allen Ortschaften der Umgebung kamen die Parteimitglieder“, um ihre Vertreter in Berlin, die beiden Trierer Abgeordneten Ferdinand Schreiner und Medard Hartrath, zu hören. Pfarrer Wilhelm Greff begrüßte die Anwesenden, stellte die Herren Abgeordneten vor und erteilte ihnen das Wort.  Zu Ende sprach Wilhelm Greff „in humorvollen Worten das Schlusswort, stattete den beiden Rednern den Dank der Versammlung ab und brachte ein lebhaftes Hoch auf die ruhmreiche Zentrumspartei aus“. In regelmäßigen Abständen fanden in der Folge Versammlungen der Zentrumspartei statt, auf denen entweder Pfarrer Greff als Vorsitzender selbst referierte oder einen Gastredner verpflichtete wie z.B. bei der Zentrumsversammlung im Saal Hotel Mönkemöller, wo der aus Hermeskeil gebürtige Pfarrer Johann Schmitt in Gusenburg eine politische Rede hielt.

    Zur Erinnerung an die „vor 1600 Jahren von Kaiser Konstantin unserer hl. Kirche im Edikt von Mailand geschenkten Freiheit“ fanden im Juli des Jahres 1913 überall im Rheinland sogenannte Konstantinfeiern statt. Das ganze Dorf war geschmückt und beflaggt. Nach einem Festgottesdienst zog die ganze Pfarrei in geschlossenem Festzug mit Musik durch die mit Ehrenpforten geschmückten Straßen zum sogenannten Zimmermannsplatz an der Nonnweiler Straße, der zu einem Festplatz umgestaltet worden war. Hier hielt in Anwesenheit von Schulrat Hochscheid und Freiherr von Beulwitz der Festredner „Se. Excellenz Generalleutnant z.D. Freiherr von Steinaecker“ seine Ansprache, ehe auch Pfarrer Wilhelm Greff das Rednerpult bestieg. „Jeder drängte sich näher, um sich ja nicht seine beredten Worte entgehen zu lassen“.

    Vor allem gegen Ende des Ersten Weltkrieges kümmerte sich Pfarrer Wilhelm Greff mit seinen katholischen Vereinen intensiv um Kontakte der Frontsoldaten zur Heimat, die sich nicht nur in der Versendung von Tabak, Zigarren und Zigaretten, Lebensmittel und Lesestoff erschöpfte. Die Fürsorge galt auch dem im Krankenhaus eingerichteten Reservelazarett, das zeitweilig so überfüllt war, dass die kranken und verwundeten Soldaten in der benachbarten Schule untergebracht werden mussten. „Dass Hermeskeil in Bezug auf diese Liebestätigkeit an Front- und Lazarettsoldaten alles Mögliche leistete, geht aus dem eigenhändigen Handschreiben des Kronprinzen Wilhelm von Preußen an mich sowie aus meiner Dekorierung mit dem Kriegsverdienstkreuz hervor“,  schreibt Pfarrer Wilhelm Greff.

    Christliche Caritas übten Pfarrer Wilhelm Greff und seine Pfarrkinder auch bei der Betreuung und Verpflegung zahlreicher Stadtkinder, die, nach dem Kriegsende am härtesten von Hungersnot und Versorgungsnotstand betroffen, zweifellos in Folge ihrer Unterernährung verloren gewesen wären. In Hermeskeil waren zahlreiche Kinder aus der Pfarrei St. Aposteln in Köln und zeitweise auch Kinder aus Wien in den Familien untergebracht – wie auch in den benachbarten Pfarreien. „Es wird für immer ein Ruhmesblatt bleiben, dass auf diese Weise tausende von Kindern gerettet wurden“.

    Der drohende militärische Zusammenbruch und damit das Ende des Ersten Weltkrieges zeichneten sich schon im Herbst 1918 ab. Mit dem sogenannten Kieler Matrosenaufstand begannen die revolutionären Umschichtungen im Deutschen Reich, an deren Ende die Weimarer Republik stehen sollte. Die reichsweit angezettelte Novemberrevolution schwappte gleich nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages am 11. November 1918 auch ins Trierer Land über. Pfarrer Wilhelm Greff beklagte mit tiefer Entrüstung „den demütigenden Waffenstillstand“ und die revolutionären Vorgänge, die zur totalen Auflösung von kirchlicher und staatlicher Autorität, Zucht und Ordnung und damit zur Auflösung aller Moralgrundsätze führen würden. Auch Hermeskeil bekam „einen kleinen Vorgeschmack vom Auftreten der Revolution“.   In Anlehnung an die in den größeren Städten praktizierte Besetzung der Ratshäuser drangen auch in Hermeskeil Personen, die sich den Arbeiter- und Soldatenräten angeschlossen hatten, in das Bürgermeistereigebäude ein, die aber wegen der Besonnenheit der diensttuenden Beamten und Angestellten, die unbeeinflusst ihrer normalen Verwaltungstätigkeit nachgingen, keinerlei Wirkung hinterließen. Nach dem Hochamt am 12. November 1918, als Pfarrer Wilhelm Greff mit seinen Pfarrkindern vor das Kirchenportal trat, „standen plötzlich vier gewöhnliche Soldaten, mit roten Bändchen ausgezeichnet, auf dem Marktplatz, traten an die aus der Kirche kommenden Soldaten heran, rissen ihnen die Achselklappen ab. Ein Feldwebelleutnant (sic!) zeigte sich der Situation gewachsen und verlangte den Berechtigungsschein. Da ging der Soldat unverrichteter Dinge weg. Ein anderer versuchte eine Rede zu halten. Das Volk, das den Redner nur zu gut kannte, lachte ihn aus und er zog ebenso beschämt ab. In den Mittagsstunden versuchten die vier wieder sich an die Soldaten des Lazaretts heranzumachen, zogen es doch vor, zurückzuweichen“. Später stellte sich durch Mitteilung des Soldatenrates in Trier heraus, dass diese vier Leute weder ein Recht noch einen Auftrag zu ihrem Vorgehen hatten.

    Aufgeschreckt von diesem eher improvisierten und operettenhaft anmutenden Revolutionsereignis, zum anderen aber auch, um das politische Feld für die für Januar 1919 angekündigten Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung zu beackern, rief Pfarrer Wilhelm Greff als Vorsitzender der Hermeskeiler Zentrumspartei Unterstützungs- bzw. Fördervereine für Männer und Frauen ins Leben. Zunächst fand im überfüllten Saal und Gastraum im Hotel Eiden von der Lahr eine Männer-Versammlung statt. „Der ‚Einberufer‘, Pfarrer Greff, gab als Zweck die Organisation aller bürgerlich gesinnten Kreise an zu dem unvermeidlich gewordenen Kampfe gegen die Elemente des Umsturzes. In den Vorschlag der Gründung eines Zentrumsvereins stimmten alle Anwesenden ein. Wilhelm Greff wurde zum Vorsitzenden und Bürgermeister Clemens von Wendt zu seinem Stellvertreter gewählt. Die Funktion eines Kassierers übernahm Hauptlehrer Ludwig Bach. Angestrebt war auch eine Frauenorganisation. „Durch häufige Versammlungen beider Verbände soll nach der Parole ‚Getrennt marschieren, vereint schlagen‘ die Vorarbeit zur Nationalversammlung geleistet werden“ machte der Pfarrer und Zentrumsvorsitzende seinen Getreuen Mut auf ein gutes Abschneiden. Zehn Tage später konnte Pfarrer Wilhelm Greff einen großen Kreis interessierter Frauen zur Gründung einer Frauenorganisation der Zentrumspartei begrüßen. Die Frauen lauschten den zweistündigen Ausführungen von Wilhelm Greff, der es unternommen hatte, „die bisher nur in der kleinen Innenwelt des Haushalts lebenden Frauen auch einmal einen Blick in die augenblicklichen trostlosen Zustände der großen Umwelt, der politischen Lage im engeren und weiteren Vaterlande, werfen zu lassen“.  Dreihundert der anwesenden Frauen trugen sich spontan in die Mitgliederliste ein. Kurz darauf fand eine große von Pfarrer Wilhelm Greff einberufene Wahlveranstaltung der Zentrumspartei statt. Bei den Wahlen zur ersten deutschen Nationalversammlung ging die SPD als stärkste Fraktion hervor und bildete mit dem Zentrum und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei die sogenannte Weimarer Koalition mit Friedrich Ebert als erstem Reichskanzler der Weimarer Republik.

    Eine Bewegung, die die Deutschen und ganz Europa in eine nie dagewesene Katastrophe führen sollte, hatte 1920 mit der Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Münchener Hofbräuhaus seinen unrühmlichen Anfang genommen. Seit 1921 war Adolf Hitler Ideengeber und Anführer der neuen Partei, die in Folge des sogenannten Hitler-Ludendorff-Putsches im November 1923 verboten wurde. Adolf Hitler wurde zu einer Festungshaft verurteilt, aber vorzeitig entlassen, so dass er die NSDAP im Februar 1925 neu gründen konnte. Hitlers ideologische Vorstellungen von ausgeprägtem Nationalismus, seine strikte Ablehnung der demokratischen Strukturen der Weimarer Republik, sein radikaler Antisemitismus und seine Abneigung gegen Marxismus und Bolschewismus fanden zunächst vereinzelt, dann immer mehr Anhänger. Im Jahre 1926 gründete der 26-jährige Gustav Simon in Hermeskeil – wohin sein Vater Adam Simon Ende des Ersten Weltkrieges als Nachfolger des dortigen Bahnhofsvorstehers versetzt worden war – eine NSDAP-Ortsgruppe, die als Keimzelle für den sich ausbreitenden Nationalsozialismus im Hochwald, ja im ganzen Trierer Land angesehen werden kann. Zum ersten Ortsgruppenleiter wurde der Sattlermeister Wilhelm Sander bestimmt. Für Dechant Wilhelm Greff, der sich als Religionslehrer an der Höheren Schule schon sehr früh gegen die ideologische Beeinflussung der Jugend durch den aufkommenden Hitlerismus wehrte, muss es wohl ein Schock gewesen sein, mehrere seiner sehr begabten Schüler unter den jugendlichen Parteigründern zu wissen, darunter die beiden jüngeren Simon-Brüder Paul und Otto und den erst 12-jährigen Peter Klos.

    Ihre erste große öffentliche Versammlung mit 300 Zuhörern hatte die NSDAP-Ortsgruppe Hermeskeil im Dezember 1927 im Gasthaus Eiden von der Lahr. Die Versammlungsleitung hatte SS-Standartenführer Karl Zenner inne, als Hauptredner war der Gauleiter Dr. Robert Ley eingeladen, der in Begleitung von fünfzehn uniformierten Hitlerjungen mit Parteifahnen in den Saal geleitet wurde. Neben den Mitgliedern und Anhängern der NSDAP waren zahlreiche Sozialdemokraten mit ihrem Generalsekretär Hans Reifferscheidt aus Trier, einige Kommunisten und fast alle jüdischen Mitbürger erschienen. In der Versammlung ging es turbulent her, nachdem Dr. Ley „in den gemeinsten und niederträchtigsten Schimpfworten“ seine antisemitischen Hasstiraden in die Reihen der Versammelten schleuderte und „ehrbare Bürger aller Kategorien und Konfessionen angriff, was ihm im heftigsten Widerspruch heimgezahlt wurde“. Am peinlichsten berührte es die Anwesenden wohl, als Robert Ley „die Hitlerpartei als Retter und Verteidiger des Christentums bezeichnete“. Als Diskussionsredner – denen man mit Bedacht nur zehn Minuten Redezeit eingeräumt hatte – traten der SPD-Ortsvorsitzende Pfaff und zwei Kommunisten, vor allem aber Dechant Wilhelm Greff auf, der sich in einer couragierten Rede gegen die schamlosen Unterstellungen zur Wehr setzte – „in sittlicher Entrüstung namens der sämtlichen Hermeskeiler Bürger. Es war für ihn eine Leichtigkeit, die Versammlung davon zu überzeugen, dass die Hitlerleutchen vom christlichen Standpunkte keine Ahnung haben. Christus predigte den Frieden, diese aber entfachen mit ihrem Holzsäbelgerassel den Brand im eigenen Vaterland. Sie sitzen wie die Geier auf den Trümmern der Revolution und versuchen das letzte Blutströpflein den Übriggebliebenen auszusaugen. Und wenn sie von dem Ausmisten im Stalle des deutschen Vaterlandes sprechen, dann geben wir ihnen den guten Rat, erst ihren eigenen Mist vor der Türe wegzufegen. Wir brauchen in unserem friedlichen Ort solche Unheilstifter nicht, wir wissen selbst gut genug, was allen not tut“. Sang- und klanglos zogen die Nazis und ihre Sympathisanten ab, ohne auch nur den geringsten Erfolg verzeichnen zu dürfen. „Hätten die Hitlerleute nicht unter polizeilichem Schutz gestanden, wären sie bestimmt von unseren sonst friedlichen Bürgern aller Schattierungen handgreiflich aus unserem Orte vertrieben worden“. In der Lokalpresse war wenige Tage später zu lesen, dass der Vorsteher der Hermeskeiler Judengemeinde Ackermann darum gebeten hatte, Herrn Dechant Greff für sein vornehm-sachliches Eintreten für die jüdischen Bürger an dieser Stelle öffentlich zu danken“. Diese schmachvolle Niederlage hatte die noch junge NSDAP-Ortsgruppe und ihre Repräsentanten gewurmt und noch jahrelang nachgewirkt und als Dr. Robert Ley im Jahre 1936 aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Hermeskeiler NSDAP Ende Oktober 1936 als Festredner eine schwungvolle Rede hielt, konnte er es sich nicht verkneifen, „mit Nachdruck auf einen Geistlichen hinzuweisen, der 1927 es über sich gebracht hatte, bei der ersten Versammlung der Ortsgruppe Hermeskeil gegen den Nationalsozialismus aufzutreten, der heute aber, obwohl die ganze Bevölkerung sich zur Idee Adolf Hitlers bekenne, fehle“.

    Die vielen Wahlen zu Reichstag und Landtag, die Volksbegehren und Volksentscheide bis zur sogenannten Machtergreifung im Januar 1933 brachten eine unübersehbare Welle von Parteiveranstaltungen mit sich, bei denen die aggressive Propagandatätigkeit der NSDAP und deren Presse jeden Rahmen sprengte. Immer wieder stand Dechant Wilhelm Greff in seiner Eigenschaft als führender Zentrumsmann im Fokus polemischer Angriffe, bei denen sich vor allem sein ehemaliger Religionsschüler Paul Simon als Schriftleiter des Trierer Nationalblattes unangenehm hervortat. Es ist glaubhaft überliefert, dass sein älterer Bruder Gustav Simon bei einem seiner zahlreichen Besuche in seiner Hermeskeiler Hochburg des Nationalsozialismus gesagt haben soll, als wieder einmal ein gegen Dechant Wilhelm Greff gerichtetes Pamphlet die Runde machte: Lasst mir den alten Mann in Ruhe!  Ihm ging die ständige Hetze gegen den inzwischen 60-jährigen und bei seinen Pfarrkindern in hohem Ansehen stehenden Seelsorger offensichtlich zu weit, auch weil er Akzeptanzverluste gegenüber seiner Partei befürchten musste.

    Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 durch den alten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg begann die systematische Aushöhlung und Zerstörung der Weimarer Demokratie und nach knapp einem halben Jahr war die von den Nationalsozialisten propagierte Machtergreifung weitgehend abgeschlossen. Mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 hatte sich das Parlament selbst entmachtet und die Hitlerregierung quasi mit Gesetzgebungsvollmacht ausgestattet. Ein ganzes Volk wurde gleichgeschaltet und wer sich nicht zur Volksgemeinschaft gehörig äußerte, musste mit staatlichen Repressionen rechnen. Die Institutionalisierung des nationalsozialistischen Herrschaftsgefüges wurde brutal und rücksichtslos mit Terror und Gewalt auf allen Ebenen durchgesetzt. Nach den letzten freien Wahlen am 5. März 1933 titelte das Trierer Nationalblatt „Volkssturm auf die Rathäuser“ und forderte, dass „die schwarz-roten Korruptionsparteien jetzt aus den Stadtparlamenten fortgejagt werden“ müssen. Äußere Zeichen setzten die Nationalsozialisten mit „der feierlichen Hissung (sic) der Fahnen des erwachenden Deutschlands auf den deutschen Rathäusern“. Auch in Hermeskeil wurde von örtlichen SA- und SS-Männern eine Hakenkreuzfahne auf dem Amtsgebäude hochgezogen und „weht seither zur Freude der nationalen Bevölkerung“ Aus Sicht der Hermeskeiler Nationalsozialisten begann „ein neuer Kampfabschnitt in der Eroberung des Hochwaldes“.

    Dechant Wilhelm Greff wird diese Entwicklung mit großer Sorge beobachtet haben. Als der nationalsozialistisch dominierte Gemeinderat von Hermeskeil am 18. Juli einstimmig beschloss, „dem Herrn Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, unserem Führer Adolf Hitler, dem Gauleiter des Gaues Koblenz-Trier Pg. Gustav Simon und dem Stabsleiter Pg. Dr. Robert Ley die Ehrenbürgerrechte zu verleihen“, muss für Dechant Wilhelm Greff eine Welt zusammengebrochen sein, waren für ihn doch die Nationalsozialisten alle gottlose Gesellen und insbesondere Hitler die Inkarnation des Bösen. Hilflos musste er die schnelle Hinwendung zur Nazi-Ideologie an Höherer Schule und Volksschule zur Kenntnis nehmen, wo das Lehrpersonal schon früh geschlossen dem Nationalsozialistischen Deutschen Lehrerbund NSDLB beigetreten war. Als Religionslehrer schmerzte es ihn, dass „die deutschen Schüler und Schülerinnen der Höheren Schule ... hundertprozentig in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen eingegliedert seien“, dass sie als erste Schule des Bezirks auf ihrem Gebäude die HJ-Flagge hissen durfte und auch die Volksschule mit der Hakenkreuzfahne geschmückt war, wenn er dort seine planmäßigen Religionsstunden erteilte.

    Statt Grüß Gott hieß es nun Heil Hitler und die Lerninhalte wurden nach und nach vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen. Gleichzeitig setzte eine Diffamierungs-, Zermürbungs- und Vernichtungskampagne gegen die katholischen Jugendvereine ein, ganz im Sinne nationalsozialistischer Gleichschaltung bzw. Ausschaltung der Vereine und Gruppen, die mit dem neuen System nicht konform zu gehen bereit waren. Für den katholischen Religionslehrer an den Hermeskeiler Schulen Dechant Wilhelm Greff entstand eine schwierige Situation, zumal er aus seiner Abneigung gegen den nationalsozialistischen Absolutheitsanspruch des Staates gegenüber der Kirche nie einen Hehl gemacht hat und sich auch kritisch über das zwischen Staat und Kirche ausgehandelte Konkordat äußerte – auf Versammlungen, von der Kanzel und in den Schulen. An der Höheren Schule kam es im Juli 1934 zum Eklat, als vierzehn namentlich benannte Schüler der Obertertia ihren Religionslehrer Wilhelm Greff beim Vertrauenslehrer Studienassessor Franz Züscher denunzierten, weil er herabsetzende Äußerungen über die Hitlerjugend und deren unchristliche Praktiken etwa bei der Sonnwendfeier äußerte und überhaupt die Vereinnahmung der Jugend durch einen gottlosen Staat geißelte. Den Ausspruch des Jugendführers Baldur von Schirach, die Jugend gehöre dem Staat, bezeichnete Wilhelm Greff als falsch, „die Jugend gehöre erst Gott, dann den Eltern und dann dem Staat. An der Spitze des Staates stünden Männer, die ... hätten überhaupt keine Religion...“. Im Zusammenhang mit der Sonnwendfeier soll der Religionslehrer den dabei verwendeten Spruch „Wotan, wir kommen dir zu opfern“ als Heidentum und Götzendienst bezeichnet haben. Der Leiter der Öffentlichen Höheren Schule Hermeskeil, Dr. Paul Ließem, „lobte das Verhalten der Schüler, weil sie sofort den vorgezeichneten Weg zum Vertrauensmann gegangen wären und versicherte, dass bekanntlich in der hiesigen Anstalt nicht nur nicht der HJ Entgegenstehendes geduldet, sondern diese in jeder Weise gefördert wird“ – ein klares und unmissverständliches Bekenntnis zu der nationalsozialistischen Jugendformation, deren Jugendführer Peter Klos – als ehemaliger Schüler an der Höheren Schule in Hermeskeil – die Zeichen der Zeit verinnerlicht hat, wie man seinem Appell „an die noch abseits stehende Jugend“ anlässlich der Feierlichkeiten „Fünf Jahre Hitler-Jugend in Hermeskeil“ vernehmen kann: „ ... denn die Zeit ist nicht mehr fern, in der auch ihr in das Leben des neuen Staates eintreten wollt und dann wird es sich zeigen, ob ihr die Schule der HJ durchgemacht habt oder nicht! Denn nur dem Jungen steht im Dritten Reich der Weg zum Leben offen, der restlos und mit Hingabe sich freiwillig im Dienste der Idee in die Hitlerjugend einordnet“. Dechant Wilhelm Greff wurde vom Schulleiter aufgefordert, „zu den anliegenden Äußerungen – gütigst möglichst umgehend – schriftlich Stellung nehmen zu wollen“. Aus einem Bericht der bischöflichen Behörde an den Regierungspräsidenten in Trier ging hervor, dass die Äußerungen des Dechanten „im Allgemeinen einwandfrei sind, wenn er auch besser Gebiete vermieden hätte, auf denen infolge der heute vorhandenen zwiespältigen Grundauffassungen Missverständnisse leicht eintreten, besonders bei der noch unreifen Jugend“. An Dechant Wilhelm Greff ging die Empfehlung, „sich auf die positive Darstellung der katholischen Wahrheiten zu beschränken und alle polemischen Wendungen möglichst zu vermeiden“. Man rechnete mit seiner Einsicht als umsichtiger und besonnener Mann, allerdings dürfe er als Priester zu Vorgängen wie bei der Sonnwendfeier nicht schweigen. Drei Wochen später verzichtete Dechant Wilhelm Greff ohne Angabe von Gründen auf die weitere Ausübung des Religionsunterrichts an der Höheren Schule. Den Verzicht bezeichnete das Schulkuratorium als „einen politisch-religiösen Vorfall“, dessen Ursachen in den durch die Verhältnisse bedingten Spannungen lägen und schloss ihn als Kuratoriumsmitglied aus. Es schien, als habe man einen von den örtlichen Parteidienststellen als „politisch unzuverlässig“ eingestuften Ortsgeistlichen „mürbe gemacht“, einen Mann, der sich um die Höhere Schule große Verdienste erworben hat.

    In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Konfliktsituationen zwischen Dechant Wilhelm Greff und der örtlichen Parteiführung unter Kreisleiter Peter Schmitt. Zwar fehlte ihm seit der Machtergreifung die Plattform für politische Versammlungen, doch auf der Kanzel und im kirchlichen Bereich machte er nach wie vor keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber den Nationalsozialisten. Das brachte mehrere Anzeigen mit anschließendem Verfahren gegen das Heimtückegesetz, das Flaggengesetz u.a., die aber alle eingestellt wurden.

    Im Mai 1935 veranstaltete Dechant Wilhelm Greff eine unerlaubte Männerprozession, die nachts um drei Uhr begann und um sechs Uhr beendet war. Da eine polizeiliche Erlaubnis nicht vorlag, wurde der Pfarrer staatspolizeilich verwarnt. Im März 1937 hatte er von schweren Notzeiten, von Fleisch- und Fettkarten gepredigt und „damit das Vertrauen zu der politischen Führung zu untergraben versucht“, was ihm ein Verfahren einbrachte, das aber ein Jahr später auf Grund des neuen Straffreiheitsgesetzes eingestellt wurde. Kreisleiter Peter Schmitt beschwerte sich mehrmals darüber, dass der Pfarrer es nicht an versteckten Äußerungen fehlen ließ. „Die aktuellen örtlichen Ereignisse der Partei unterzog er regelmäßig im Rahmen einer sonst religiösen Predigt einer Kritik, ohne dass er hierfür zur Rechenschaft gezogen werden konnte. So benutzte er die Kirchenaustrittserklärungen eines Teiles der Amtsleiter dazu, im Zusammenhang mit einer Erläuterung des Dogmenbegriffes der katholischen Kirche zu erklären, dass junge, unreife Leute sich anmaßten, an der Tatsache des Vorhandenseins von Dogmen Kritik zu üben. Jeder vernünftige Mensch müsse einsehen, dass dem Begriff der Religiosität im Sinne dieser unreifen Leute kein Gehalt innewohne“. Obwohl Dechant Greff in seiner Predigt keine Namen nannte, wusste doch jeder Kirchenbesucher, dass er nur die kurz zuvor aus der Kirche ausgetretenen Parteigenossen  treffen wollte.

    Als die Beflaggung der öffentlichen Gebäude, auch der katholischen Kirche, aus Anlass einer Staatsfeier angeordnet wurde, hatte Pfarrer Greff die Kirchenfahnen höher und weithin sichtbarer geflaggt als er dies gewöhnlicherweise beim Zeigen der Reichsflagge tat. Das brachte ihm einen amtlichen Rüffel ein und die Forderung, künftig der Reichsflagge einen ebenso bevorzugten Platz einzuräumen wie den Kirchenfahnen. Dechant Wilhelm Greff scherte sich nicht um die Rüge und unterließ es bei der nächsten Beflaggungsanordnung aus Anlass des Heldengedenktages überhaupt eine Fahne aufzuziehen. Das brachte ihm erneut ein Verfahren wegen Vergehens gegen das Flaggengesetz ein, das aber ebenfalls niedergeschlagen wurde. Zu einer größeren Affäre wurde Pfarrer Greffs Predigt aufgebauscht, die er am 3. September 1939, dem ersten Sonntag nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Polen hielt. Ein von Kreisleiter Peter Schmitt angesetzter Parteispitzel gab den Inhalt der Predigt wieder, „der Krieg sei eine Zuchtrute Gottes, siegen könne nur der, der mit Gott in den Kampf ziehe. 1914 seien die Krieger alle zu ihm zur Generalbeichte und zur Kommunion gekommen, diesmal hätte nicht einer den Weg zu ihm gefunden. Die Schlussfolgerung, dass wir deshalb den Krieg verlieren würden, überließ er den Zuhörern“. Außerdem habe Pfarrer Greff „Hitler mit Goliath und das überfallene Polen mit David verglichen“, was ihm umgehend ein Predigtverbot des Hermeskeiler Bürgermeisters Fritz Madel einbrachte. Von einer Inschutzhaftnahme von Pfarrer Greff wurde zwar Abstand genommen und das Verfahren eingestellt, aber auf bischöfliche Anordnung wurde ihm „Mahnung und Weisung gegeben, gerade in der heutigen Zeit mit Predigten und allen Reden äußerst vorsichtig zu sein und alles zu vermeiden, was irgendwie zur Beunruhigung der Bevölkerung beitragen könnte“.

    Vier Wochen nach diesem Vorfall erhielt Dechant Greff Nachricht, dass der Saal und drei weitere Räume in der ersten Etage des Pfarrhauses unverzüglich zu räumen seien, da das Grenzkommissariat der Geheimen Staatspolizei in Saarburg auf höhere Anweisung ihren Dienstsitz nach Hermeskeil zu verlegen genötigt sei. Um die Gestapo dienstlich ordnungsgemäß unterbringen zu können, müssten die Räumlichkeiten im Pfarrhaus nach dem Wehrleistungsgesetz beschlagnahmt werden. Als am 29. Oktober 1939 der Militärgeistliche Josef Kayser sich bei Dechant Greff meldete, fand er zu seinem großen Erstaunen acht Mann Gestapo im Pfarrhaus vor, „wohl der einzige Fall im Reich, wo Gestapo in einem Pfarrhaus wohnte“. Dass die Einquartierung auf Veranlassung von Gauleiter Gustav Simon, den er einmal im Religionsunterricht geohrfeigt habe, geschehen sein soll, wie der Wehrmachtsgeistliche in seinem Kriegstagebuch vermerkt, dürfte so nicht stimmen. Mit Verfügung vom 24. April 1940 wurde die staatliche Pfarrbesoldungsbeihilfe gesperrt, weil er „seine staatsfeindliche Einstellung in den sieben Jahren des Aufbaues nicht geändert habe“. Er wurde einer staatlichen Unterstützung nicht mehr für würdig befunden.

    Dass Dechant Wilhelm Greff aufgrund seiner resoluten und konsequenten Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten, seiner wortgewaltigen Reden gegen einen als missionarische Heilsfigur überhöhten Adolf Hitler und seine Epigonen verhaftet oder in Schutzhaft genommen worden oder sonstigen lebensbedrohenden Repressalien oder Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre, ist nicht bekannt. Das ist insofern erstaunlich, dass andere Widerstandspfarrer wegen weit geringerer Vergehen mit schweren Strafen, in Einzelfällen mit mehrjährigen Zuchthausstrafen belegt wurden. Verstand es Dechant Wilhelm Greff, „sich auf dem schmalen Grat hart an der Grenze der Legalität zu bewegen, um so KZ und Zuchthaus zu vermeiden“ oder sollte es bei den örtlichen Parteifunktonären doch so etwas wie latenten Respekt vor dem unbeugsamen Willen des „alten Mannes“ gegeben haben, der sie den letzten Schritt scheuen ließ?

    Am 4. März 1944 starb Dechant Wilhelm Greff im 72. Lebensjahr. Er war 32 Jahre lang Pfarrer in Hermeskeil gewesen. Man sucht vergebens nach einer Nachricht über Tod oder Begräbnis des streitbaren Mannes, dessen vielfältige Aktivitäten jahrzehntelang die Spalten der lokalen Presseorgane füllten. Das Trierer Nationalblatt, das ein Jahr vor Kriegsende noch als einzige Zeitung in einer dünnen Ausgabe erschien, würdigte seinen Erzfeind mit keiner Silbe. Ein Jahr später endeten die verlogenen Träumereien vom Endsieg in der größten Katastrophe des deutschen Volkes, in einer Katastrophe, vor der der Dechant und Zentrumspolitiker Wilhelm Greff schon im frühen Stadium des aufkommenden nationalsozialistischen Hitlerismus unerschrocken und wortgewaltig gewarnt hatte. Als Nachfolger wählte das Dekanatskapitel den 58-jährigen Keller Pfarrer Matthias Kuhn zum neuen Dechanten.

 




Dieser Aufsatz ist erschienen in: Jahrbuch des Kreises Trier-Saarburg 2012


Buch neu erschienen:

Dittmar Lauer
Wilhelm Greff
Pastor in Hermeskeil.
Seelsorger und Politiker zwischen Kaiserreich und Hitlerdiktatur